Gratifikation, Bonus oder doch Lohnbestandteil? Wann haben Mitarbeitende Anspruch auf eine Gratifikation und können diese gerichtlich durchsetzen? Worauf müssen Arbeitgebende in der Schweiz achten, dass es bei einer freiwilligen Sonderleistung bleibt? Muss eine Gratifikation auch im gekündigten Arbeitsverhältnis erbracht werden? Was gibt es weiter zu beachten? Dieser Blogeintrag bietet einen Überblick über die gesetzliche Regelung, die schweizerische Rechtsprechung und mögliche Stolpersteine für Arbeitgebende.
In diesem Beitrag
- Was bedeutet Gratifikation?
- Wo ist die Gratifikation gesetzlich geregelt?
- Was ist der Unterschied zwischen einer Gratifikation und einem Bonus?
- Was ist der Unterschied zwischen variablem Lohn und Gratifikation?
- Welche Arten von Gratifikationen gibt es?
- Gratifikationen im Schweizer Steuerrecht
- Höhe der Gratifikation
- Fazit: Was müssen Arbeitgebende bei der Ausrichtung von Gratifikationen beachten?
Was bedeutet Gratifikation?
ℹ️ Gratifikation ist eine freiwillige Sonderzahlung des Arbeitgebenden an seine Arbeitnehmer, meist in Form von Geld, als Anerkennung für besondere Leistungen oder zu besonderen Anlässen, wie Weihnachten oder Ferien. Die Gratifikation ist nicht gesetzlich vorgeschrieben und variiert je nach Unternehmen.
Wo ist die Gratifikation gesetzlich geregelt?
Die gesetzliche Regelung zur Gratifikation in der Schweiz findet sich im Gesetz unter Art. 322d OR.
Eine Gratifikation ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebenden, eine sogenannte Sondervergütung, die dem Arbeitnehmenden zusätzlich zum vertraglich festgelegten Lohn zu bestimmten Anlässen, wie z. B. Weihnachten oder zum Abschluss des Geschäftsjahres, ausbezahlt wird. Wenn ein Mitarbeitender mitten im Jahr die Arbeitsstelle verlässt, muss eine anteilsmässige Auszahlung vertraglich vereinbart worden sein, damit ein Arbeitnehmende Anspruch darauf erheben kann.
Was ist der Unterschied zwischen einer Gratifikation und einem Bonus?
Der Hauptunterschied zwischen Gratifikation und Bonus liegt meist nur in der Begrifflichkeit. Gemäss Praxis wird mit dem Begriff «Bonus» häufig eine Gratifikation umschrieben.
Um feststellen zu können, ob im Einzelfall der Bonus unter den Gratifikationsbegriff von Art. 322d OR zu fassen ist, sind die unterschiedlichen Arten von Gratifikationen zu definieren und voneinander abzugrenzen (vgl. dazu Basler Kommentar, BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 1 + 2).
Damit der Bonus eine Gratifikation gemäss Gesetz darstellen kann, muss es sich um eine echte bzw. unechte Gratifikation handeln. Das bedingt, dass dem Arbeitgebenden bei der Höhe der Vergütung mindestens ein weiterer Ermessensspielraum zukommt (siehe nachfolgend unter «Welche Arten von Gratifikationen gibt es?»).
Mit der Bezeichnung «Bonus» kann aber auch eine Sondervergütung mit Lohncharakter bzw. ein Anteil am Geschäftsergebnis gemeint sein (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 2). Damit ist auch bereits klar, dass die Unterscheidung immer genau zu prüfen ist.
«Eine Gratifikation entspricht einer Sondervergütung, die der Arbeitnehmende zusätzlich zum vertraglich festgelegten Lohn erhält.»
Was ist der Unterschied zwischen variablem Lohn und Gratifikation?
Der variable Lohn setzt sich aus einem Grundlohn und einem variablen Teil zusammen, der vom Geschäftsgang des Unternehmens abhängig ist. Da die Bedingungen für die Berechnung des variablen Teils klar festgelegt sind, ist der Lohn damit im Grundsatz berechenbar und dem Arbeitgebenden kommt bei der Bemessung kein Ermessen mehr zu. Das qualifiziert den variablen Lohn als Sondervergütung mit Lohncharakter (siehe nachfolgend unter «Welche Arten von Gratifikationen gibt es?»). Deshalb kann er gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (BGE 109 II 447; BGE 129 III 278; BGE 4C.395/2005 vom 1.3.2006) nicht unter Art. 322d OR gefasst werden und keine Gratifikation darstellen.
Es ist zur Abgrenzung somit massgeblich, ob es sich um sogenannte «harte Ziele» die objektiv berechenbar sind, handelt oder um «weiche Ziele», die dem Ermessen des Arbeitgebenden unterliegen.
ℹ️ Gesetzlich geregelt sind variable Löhne einerseits in Art. 322a OR mit dem Anteil am Geschäftsergebnis und in Art. 322b und 322c OR mit der Provision.
Anteil am Geschäftsergebnis
Für einen Anteil am Geschäftsergebnis wird der Gesamterfolg des Unternehmens zur Bemessung herangezogen. Zur Feststellung des gesamtunternehmerischen Erfolgs müssen die gesetzlichen und buchhalterischen Vorschriften und Grundsätze eingehalten werden. In zeitlicher Hinsicht ist das Geschäftsjahr für die Berechnung der Höhe des variablen Lohnbestandteils massgebend. Die Beteiligung am Geschäftsergebnis kann aber in den Zielvereinbarungen auf verschiedene Art und Weise ausgestaltet sein (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322a, N 1):
Gewinnbeteiligung: In der Regel wird sich auf den Reingewinn des Unternehmens bezogen und dem Mitarbeitenden ein prozentualer Anteil zugesprochen wird (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322a, N 2).
Umsatzbeteiligung: Es wird auf den Nettoerlös für Lieferungen und Leistungen an Kunden abgestellt (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322a, N 3).
Sonstige Beteiligungen: Zum Beispiel Verbesserungen des Ergebnisses gegenüber dem Budget (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322a, N 4).
Provision
Bei einer Provision wird der variable Lohnbestandteil aufgrund des Werts der einzelnen abgeschlossenen Verträge beurteilt (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322a, N 1).
Wird in einer Zielvereinbarung somit ein klar definiertes Ziel festgehalten und damit ein variabler Lohn zugesichert, hat der Mitarbeitende bei Erreichen des Ziels auch im unterjährigen Anstellungsverhältnis pro rata einen Anspruch auf Entschädigung. Das bedeutet, wenn im Mai das Arbeitsverhältnis aufgehoben wird, dass pro Monat ein Anteil anfällt. Sind es fünf Monate, besteht somit ein Anspruch auf 5/12.
Auch kann er eine anteilsmässige Entschädigung gemessen am prozentual erreichten Ziel verlangen. Es ist jedoch möglich, mittels Zielvereinbarung festzuhalten, wie der variable Lohnbestandteil abgestuft wird, wenn das definierte Ziel nicht vollständig erreicht wurde. Ein kleines Beispiel dazu: Eine Entschädigung von 50% wird entrichtet, wenn das Ziel zu 50% erreicht wurde oder 80% wird entrichtet, wenn Ziel zu 80% erreicht wurde.
Daraus ergibt sich, dass Kürzungen oder Wegfall des variablen Lohnes aufgrund längerer Abwesenheiten oder gekündigtem Verhältnis unzulässig sind, sofern die vereinbarten Ziele erreicht wurden.
Kriterien
Betreffend Gratifikation kann ein Arbeitgebende ebenfalls auf betriebliche oder persönliche Kriterien wie Geschäftsergebnis, die Leistung oder das Verhalten des Arbeitnehmenden abstellen. Damit wird eine Mindestschwelle für die Ausrichtung einer Gratifikation geschaffen. Jedoch ist diesfalls vorgängig nicht klar festgelegt und berechenbar, in welcher Höhe die Vergütung ausfallen muss und der Arbeitgebende hat somit diesbezüglich einen grossen Ermessenspielraum (vgl. dazu BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 7 + 14).
Im Einzelfall können in der gleichen Zielvereinbarung sowohl variable Lohnbestandteile als auch Gratifikationen geregelt werden.
Dem Arbeitnehmenden darf kein Nachteil daraus entstehen, wenn der Arbeitgebende es unterlässt, die Bedingungen zur Erreichung eines höhenmässig bezifferten Bonusanspruchs klar zu definieren (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 17).
Im Bundesgerichtsentscheid 4A_378/2017 vom 27.11.2017 wurde entschieden, dass auch eine Klausel, wonach der Arbeitgebende die Ziele jährlich unterschiedlich festlegen kann, als Ermessenspielraum des Arbeitgebenden angesehen wird. Somit wurde der vertraglich vereinbarte Bonus als (unechte) Gratifikation angesehen.
Ein Beispiel zum besseren Verständnis
Frau Müller hat einen monatlichen Grundlohn von CHF 3'000.-. Zudem hat sie einen vertraglich vereinbarten variablen Lohn in der Höhe von CHF 2'000.-, der vom Erreichen klar definierter Ziele abhängig gemacht wird.
Variante 1: Die Ziele wurden vollumfänglich erreicht.
Frau Müller befindet sich im gekündigten Arbeitsverhältnis. Sie hat trotz gekündigter Stellung vollen Anspruch auf den variablen Lohn in der Höhe von CHF 2'000.-.
Frau Müller war im letzten Jahr während drei Monaten krankgeschrieben. Sie hat trotz der längeren Abwesenheit vollen Anspruch auf den variablen Lohn in der Höhe von CHF 2'000.-.
Variante 2: Die Ziele wurden nur zu 80 % erreicht und es besteht eine Zielvereinbarung, die regelt, dass bei einer Zielerreichung ab 80 % ein Anspruch auf 80 % des variablen Lohnbestandteils besteht.
Frau Müller hat somit nur Anspruch auf 80 % des vereinbarten variablen Lohns in Höhe von CHF 1'600.-.
Welche Arten von Gratifikationen gibt es?
Echte Gratifikation
Wie dem Gesetzestext von Art. 322d OR zu entnehmen ist, handelt es sich bei einer Gratifikation um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebende und nicht um einen gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmenden .
Eine echte Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR zeichnet sich dadurch aus, dass der Arbeitgebende frei entscheiden kann, ob er einerseits eine Gratifikation ausrichten möchte und in welchem Umfang er dies tut (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 3). Somit wird die echte Gratifikation von dem grossen Ermessenspielraum des Arbeitgebenden abhängig gemacht. Im Gegensatz zur Schenkung ist eine Gratifikation jedoch nicht bedingungslos, sondern an ein Anstellungsverhältnis geknüpft (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 3).
Unechte Gratifikation
Eine unechte Gratifikation ist eine vertraglich vereinbarte, in ihrer Höhe aber nicht festgelegte Sondervergütung (vgl. BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 12).
Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts kann eine echte zu einer unechten Gratifikation werden, wenn ein Arbeitgebender mindestens drei Jahre in Folge (echte) Gratifikationen ohne Freiwilligkeitsvorbehalt ausbezahlt hat (vgl. BGE129 III 276 E.2 S. 278). Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmende in der Folge einen klagbaren Anspruch auf eine Gratifikation hat. Die Höhe der Gratifikation kann der Arbeitgebende aber weiterhin bestimmen.
Sondervergütung mit Lohncharakter
Um eine Sondervergütung mit Lohncharakter handelt es sich dann, wenn der Anspruch darauf vertraglich klar festgelegt ist. Zudem ist in diesem Fall auch die Höhe der Sondervergütung bestimmt oder jedenfalls für den Einzelfall bestimmbar. Ein Ermessenspielraum steht dem Arbeitgebenden in diesem Fall nicht mehr zu (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 16).
Eine Sondervergütung mit Lohncharakter kann auch aus einer ursprünglich echten oder unechten Gratifikation entstehen. Dies dann, wenn z. B. während mehrerer Jahre in Folge eine Gratifikation in gleicher Höhe ausbezahlt wurde und der Arbeitgebende nicht jedes Mal ausdrücklich mitgeteilt hat, dass diese Auszahlung freiwillig erfolgt (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 10).
Ausnahmen der Sondervergütung mit Lohncharakter
Nach jahrzehntelanger gleich bleibender Auszahlung, verliert ein mitgeteilter Freiwilligkeitsvorbehalt dennoch seine Bedeutung. Die ursprüngliche Gratifikation wird gemäss Bundesgericht zu einem Lohnbestandteil (mehr dazu im Bundesgerichtsentscheid BGE 129 III 280).
Des Weiteren kann gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine als Gratifikation benannte Sondervergütung auch aufgrund ihres Verhältnisses zum Grundlohn zu einem Lohnbestandteil werden. Dies beispielsweise dann, wenn es sich um die einzige Vergütung für geleistete Arbeit handelt (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 19).
In früheren Entscheiden ging das Bundesgericht davon aus, dass eine Gratifikation auch dann automatisch zum Lohnbestandteil wird, wenn sie regelmässig höher ausfällt als der Grundlohn (BGE 129 III 179; 131 III 615). Dieser Grundsatz wurde durch das Bundesgericht aber eingeschränkt. Somit soll das Verhältnis der Gratifikation zur Höhe des Grundlohns dann nicht als Kriterium gelten, wenn der Grundlohn die Lebenshaltungskosten des Arbeitnehmenden bereits erheblich übersteigt (BGE 139 III 155). Dies ist laut Bundesgericht dann der Fall, wenn das Einkommen des Arbeitnehmenden mehr als das Fünffache des Schweizer Medianlohns der Privatwirtschaft beträgt (BGE 141 III 407).
In diesem Fall kann nicht automatisch von einem Lohnbestandteil ausgegangen werden, sondern es müssen immer alle Umstände des Einzelfalls einbezogen werden.
Rechtliche Einordnung der Sondervergütung mit Lohncharakter
Über die Qualifikation einer Sondervergütung mit Lohncharakter besteht in Lehre und Rechtsprechung Uneinigkeit. Die herrschende Lehre sieht die Sondervergütung mit Lohncharakter als Unterart der Gratifikation (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 16, mit weiteren Hinweisen). Das schweizerische Bundesgericht grenzt die Sondervergütung mit Lohncharakter gegenüber der Gratifikation klar ab und beurteilt diese als Lohnbestandteil (BGE 109 II 447 E. 5c S. 548; BGE129 III 276 E.2 S. 278; BGE 139 III 155 E. 3.1 S. 156; BGE 142 III 381 E. 2.1 S. 383).
Die Rechtsprechung des Bundesgerichts hat zur Folge, dass Art. 322d OR für Sondervergütungen mit Lohncharakter keine Anwendung findet. Ein Arbeitnehmender kann daher bei unterjährigem Austritt aus dem Unternehmen eine anteilsmässige Auszahlung der Sondervergütung verlangen. Hingegen muss bei einer unechten Gratifikation ein anteilsmässiger Anspruch bei unterjährigem Austritt aus dem Unternehmen explizit vertraglich vereinbart worden sein, damit er eingeklagt werden kann (vgl. BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 16). Auch darf bei einem Lohnbestandteil die Auszahlung nicht von einem ungekündigten Arbeitsverhältnis abhängig gemacht werden (BGE 4C.395/2005 vom 1.3.2006).
Beispiele für Sondervergütungen mit Lohncharakter:
Zusicherung eines Dienstaltersgeschenk
Betragsmässig festgelegter Bonus
Wenn Vergütung einzige Entschädigung für Arbeitsleistung darstellt
Variabler Lohnbestandteil
Sind Gratifikationen steuerfrei?
Art. 17 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer bezeichnet Gratifikationen ausdrücklich als steuerbare Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit. In den kantonalen Steuergesetzen verhält sich dies gleich. Gratifikationen sind somit in der Regel zu versteuern.
Sind Gratifikationen AHV-pflichtig?
Gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG i.V.m. Art. 7 Bst. c AHVV sind Gratifikationen Teil des massgebenden Lohns und somit AHV-pflichtig (hierzu Wegleitung über den massgebenden Lohn in der AHV, IV und EO, Rz. 2002ff. und 2158).
Sind Gratifikationen BVG-pflichtig?
Grundsätzlich gilt, dass im BVG-Obligatorium der AHV-pflichtige Lohn zu versichern ist. Der Teil des Lohnes, der einen bestimmten Betrag (aktuell: 88'200.-) gemäss Art. 8 BVG (Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge) überschreitet, zählt zum Überobligatorium und die jeweiligen Vorsorgeeinrichtungen können in ihren Reglementen festlegen, ob und in welchem Umfang eine Versicherung erfolgt.
Eine Ausnahme stellen hier jedoch Lohnbestandteile dar, die nur gelegentlich anfallen (siehe hierzu auch Art. 7 Abs. 2 BVG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 lit. a BVV2). Vorsorgeeinrichtungen können somit reglementarisch festlegen, dass unregelmässig ausbezahlte Gratifikationen von der BVG-Pflicht ausgenommen sind.
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Was Arbeitgeber beachten solltenGratifikation im Schweizer Arbeitsrecht
Ob und zu welchem Anlass eine Gratifikation geleistet wird, steht in der Entscheidungsmacht des Arbeitgebenden. Im schweizerischen Arbeitsrecht entsteht der Anspruch auf Ausrichtung einer Gratifikation erst durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung. Der Ermessenspielraum des Arbeitgebenden bei der Ausrichtung von Gratifikationen ist gross, unterliegt aber gewissen gesetzlichen Bestimmungen.
Bezeichnung | Ermessensspielraum betreffend Auszahlung | Ermessenspielraum betreffend Höhe | Zwingend einzuhaltende gesetzliche Bestimmungen |
Echte Gratifikation | Ja, kein vertraglicher Anspruch | Ja | Diskriminierungsverbot Gleichbehandlungsgrundsatz |
Unechte Gratifikation | Nein, vertraglich explizit oder stillschweigend vereinbart | Ja | Diskriminierungsverbot Gleichbehandlungsgrundsatz Grundsatz von Treu und Glauben |
Sondervergütung mit Lohncharakter | Nein, vertraglich explizit oder stillschweigend vereinbart | Nein, vertraglich explizit oder stillschweigend vereinbart | Diskriminierungsverbot Gleichbehandlungsgrundsatz (nur sofern keine explizite vertragliche Regelung) |
Quelle: Protekta Rechtsschutz – Versicherung AG
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Jetzt mehr erfahrenHöhe der Gratifikation
Die Höhe der echten bzw. unechten Gratifikation kann grundsätzlich durch den Arbeitgebenden festgelegt werden. Trotz des sehr weiten Ermessensspielraums wird dieser begrenzt:
Diskriminierungsverbot gemäss Art. 3 des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG)
Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz der Mitarbeitenden im gleichen Betrieb (ergibt sich aus Art. 328 OR; BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 6; weitere Ausführungen mit Literaturverweisen in BGE 129 III 276 E.3.1. S. 282)
Aus dem Diskriminierungsverbot ergibt sich, dass eine Ungleichbehandlung der Geschlechter nur dann zulässig ist, wenn sie aus objektiven, sachlichen Gründen erfolgt. Als solche gelten Gründe, die auch bei der Beurteilung von Arbeitnehmenden des gleichen Geschlechts relevant wären. Hier einige Beispiele:
- Ausbildung
- Dienstalter
- Qualifikationen
- Erfahrung
- Konkreter Tätigkeitsbereich
- Pflichtenheft
Eine Ungleichbehandlung, die sich lediglich auf die Geschlechtszugehörigkeit stützt, ist verboten (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 5).
Ebenso gilt für den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, dass eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmenden im gleichen Betrieb nur aus sachlich bedeutsamen Gründen erfolgen darf. Eine willkürliche Benachteiligung einzelner Arbeitnehmenden ist verboten. Was im Einzelfall als sachlich vertretbar gilt, kann weitgehend durch den Arbeitgebenden bestimmt werden (vgl. BGE 129 III 276 E. 3.1; BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 6).
Gelten entweder das Diskriminierungsverbot oder der Gleichbehandlungsgrundsatz als verletzt, kann der Arbeitnehmende die Ausrichtung der Gratifikation gerichtlich einklagen (vgl. BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 5 + 6).
Innerhalb der oben geschilderten Grenzen darf der Arbeitgebende die Ausrichtung und die Höhe der Gratifikation von bestimmten Bedingungen abhängig machen (vgl. BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 7 + 8).
Dies können sein:
- Geschäftsergebnis
- Leistung der Mitarbeitenden
- Verhalten der Mitarbeitenden
- Gekündigte Stellung der Mitarbeitenden
Weitere Grenzen der Bemessung
Bei einer unechten Gratifikation hat sich der Arbeitgebende zudem bei der Bemessung der Höhe der Sondervergütung an den Grundsatz von Treu und Glauben zu halten. Das heisst, der Arbeitgebende darf die Bemessung der Gratifikation nicht an Bedingungen knüpfen, die für den Arbeitnehmenden nicht nachvollziehbar oder erwartbar sind. Dies soll verhindern, dass der vertragliche Anspruch des Arbeitnehmenden unverhältnismässig tief ausfällt bzw. ungerechtfertigt gekürzt wird (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 13 sowie BGE 136 III 318 mit Verweis auf Urteil des Bundesgerichts 4P.284/1996 vom 7. Oktober 1997 E. 2a).
Beispiele für zulässige Kürzungen:
Objektiv unzureichende Arbeitsleistung des Arbeitnehmenden
Schlechte wirtschaftliche Lage des Unternehmens
Verletzung der Treuepflicht durch den Arbeitnehmenden
Lange Abwesenheiten
Gekündigtes Arbeitsverhältnis
Beispiele für unzulässige Kürzungen:
Berechtigte Arbeitsverweigerung aufgrund Lohnrückstände oder durch Arbeitgebenden verursachte Umstände
Herabsetzung der Gratifikation bei gekündigter Stellung
Der Zweck einer Gratifikation wird teils als Anerkennung für bereits geleistete Arbeit, teils als Motivation für das weiterführende Arbeitsverhältnis gesehen (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N3). Wird ein Anstellungsverhältnis gekündigt, entfällt ein Teil des Gratifikationszwecks. Somit rechtfertigt es sich aus objektiver Sicht, die Gratifikation in ihrer Höhe zu beschränken.
Es ist jedoch im Einzelfall abzuwägen, in welchem Umfang eine Reduktion erfolgen darf.
Gemäss aktueller Rechtsprechung sind Kürzungen zwischen einem Drittel und der Hälfte der Gratifikation zulässig (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 8 mit Hinweisen).
Nur falls klar ersichtlich ist, dass der Arbeitgebende mit der Gratifikation lediglich bereits geleistete Arbeit belohnen wollte und kein Teil des Ausrichtungszwecks wegfällt, darf diese nicht gekürzt werden (vgl. BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 9).
Voraussetzung ist zudem, dass die Gratifikation im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt fällig ist, d. h. der Anlass zur Ausrichtung bereits eingetreten ist. Ansonsten müsste ein anteilsmässiger Anspruch der Gratifikation vertraglich vereinbart worden sein (BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 322d, N 9).
Beispiel:
Eine Gratifikation wird durch den Arbeitgebenden an Weihnachten für alle Mitarbeitenden ausgerichtet:
Endet die Kündigungsfrist eines Mitarbeitenden Ende Juni hat der Arbeitnehmende keinen Anspruch auf diese, wenn keine vertragliche Vereinbarung besteht.
Kündigt der Arbeitnehmende jedoch im November sein Arbeitsverhältnis per Ende Januar des Folgejahres, hat er Anspruch auf mind. einen Teil der Gratifikation.
Fazit: Was müssen Arbeitgebende bei der Ausrichtung von Gratifikationen beachten?
- Wenn der Arbeitgeber verhindern will, dass die Gratifikation zum Lohnbestandteil wird, dann sollten die Zahlungen in unterschiedlichen Höhen erfolgen. Zudem sollte diese nicht an Bedingungen geknüpft sein, die eine Berechnung dem Grundsatz nach zulassen.
- Idealerweise wird der Ermessensspielraum des Arbeitgebers schriftlich klar festgehalten.
- Ungleichbehandlungen von Mitarbeitenden innerhalb eines Unternehmens sollten auf sachlichen Gründen beruhen. Das Diskriminierungsverbot sowie der Gleichbehandlungsgrundsatz sind zu beachten.
- Ebenso sollte bei Ausrichtung der Gratifikation jeweils ein Freiwilligkeitsvorbehalt angebracht werden.
- Bei Sondervergütungen mit Lohnbestandteil ist es ratsam, sollte es sich nicht um einen Fixbetrag handeln, die Berechnungsgrundlagen detailliert vertraglich zu regeln.